Bericht von der Teilnahme am 3. Sozialforum in Deutschland 2009 in Hitzacker/ Wendland

0. Das Projekt

Sozialforums-Plakat in Hitzacker - Foto: Stefan Schneider

In der Zeit von 15. - 18. Oktober 2009 fand in Hitzacker, Wendland das 3. Sozialforum in Deutschland unter dem Titel "Eine andere Welt ist möglich" statt. Eine Gruppe von wohnungslosen, armen und Hartz IV-beziehenden Menschen aus Berlin, die im Umfeld der AG Leben mit Obdachlosen und der Plattengruppe Köpenick im Diakonischen Werk und anderen Projekten und Kampagnen aktiv ist, hat daran teilgenommen. Die Ziele des Projekts bestanden darin,

  • Menschen, die aufgrund ihrer Armut nicht zum Sozialforum in Deutschland kommen könnten, die Teilnahme und die aktive Mitgestaltung und einen Austausch mit anderen Gruppen aus dem deutschsprachigen Raum zu ermöglichen,
  • das Gemeinschaftsgefühl der GruppenteilnehmerInnen stärken und Verantwortlichkeiten herstellen,
  • die Motivation der Teilnehmer durch konkrete Aufgaben und Zuständigkeiten zu stärken (Einkauf, Versorgung, Vorbereitung Forum, Diskussionsbeiträge, usw.),
  • dieses Projekt in geeigneter Form zu dokumentieren (Text, Bilder, Interviews, Kommentare, Projektbericht),
  • Menschen und Organisationen aus anderen Bundesländern kennen zu lernen, Sichtweisen austauschen, Kontakte herzustellen.
  • gemeinsame Strategien zur Bearbeitung des weltweiten Problems Wohnungslosigkeit, Wohnungsnot und Armut zu entwickeln,
  • die Teilnahme am Europäischen Sozialforum im Herbst 2010 in Istanbul zu verabreden und vorzubereiten.

1. Vorbereitung

Unterkunft im  Gemeindehaus - Foto: Stefan Schneider

Auf einer Vorbereitungsreise im Mai 2009 konnte ich bereits die Frage der Unterbringung im Gemeindehaus der Evangelisch-lutheranischen St. Johannis Gemeinde in Hitzacker absprechen, den Veranstaltungsort kennen lernen sowie an den Debatten eines Vorbereitungstreffens in Hannover teilnahmen.

Nach der Förderzusage durch die Berliner Stiiftung Menschenwürde und Arbeitswelt im September 2009 konnte die Werbung für das Projekt intensiviert werden. Dazu gehörte die Vorstellung des Projekts auf der September-Sitzung der AG Leben mit Obdachlosen und Hinweise per email.

Sehr schnelle Rückmeldungen gab es von 2 Menschen, die im Umfeld der Hartz IV Proteste / Kampagne gegen Zwangsumzüge aktiv sind. Die Plattengruppe Köpenick signalisierte ebenfalls Interesse, dort gab es ein erstes Vorbereitungsgespräch mit dem Leiter, der dieses Projekt ebenfalls nochmals auf der Hausversammlung ansprach und zurückmeldete, dass wenigstens 4 aus der Gruppe teilnehmen wollten. Bei einem zweiten Vorbereitungsgespräch mit den interessierten wohnungslosen Menschen der Platttengruppe gab es 6 Teilnehmer, so dass damit die maximale Teilnehmeranzahl erreicht war. Besprochen worden sind Einzelheiten der Planung und des Programms.

Ein thematischer Workshop mit dem Arbeitstitel Armut und Wohnungslosigkeit per Gesetz und dem Text "Die Zumuntungen der JobCenter und der Hartz IV Gesetze, Armut, Zwangsumzüge, Obdachlosigkeit, Vertreitung aus der Innenstadt. Schwarzarbeit, Betteln, Straßenzeitungsverkauf, Straßenmusik und Pfandflaschensammeln als Überlebensstrategie? Formen und Möglichkeiten von Protest, Widerstand, Wiederaneignung des öffentlichen Raums, Sozialprotest, selbstbestimmtes Leben. Aufstellung von Forderungen für die Schlußresulution des Sozialforums." wurde von mir für den Samstag angemeldet. Damit wollte ich ein Forum, ein Rahmen schaffen, die es der Gruppe ermöglichen könnte, sich selbst mit eigenen Anliegen einzubringen und so ein eigenes Thema zu setzen.

2. Erster Tag

Der Tag bekann mit dem Abholen des Mietwagens und dem Einkauf von Getränken. Die Teilnehmer wurden in Köpenick (Plattengruppe) sowie in Neuköln und Kreuzberg abgeholt. Die Fahrt nach Hitzacker erfolgte über die Elbfähre bei Lenzen, um der Gruppe eine Vorstellung von der geografischen Lage des Wendlands zu vermitteln.

Vor Ort in Hitzacker war Simon Kramer, Pfarrer der Ev. St. Johannes Kirchengemeinde von Hitzckaer anwesend und wies die Gruppe in den Raum im Gemeindehaus ein, der für die Übernachtung der Gruppe gedacht war. Für die einzige Teilnehmerin der Gruppe konnte ein separater Übernachtungsraum organisiert werden. Es erfolgte die Auszahlung des Tagesgelds für die Teilnehmer. Ein Teil der Gruppe ging einkaufen, abends wurde in der Küche des Gemeindehauses gekocht und gemeinsam zu Abend gegessen. Während ein Teil der Teilnehmer die Eröffnungsveranstaltung im doch entfernt gelegenen Verdo besuchen wollte, zog ein anderer Teil es vor, zunächst Hitzacker zu erkunden.

Eröffnungsveranstaltung im Verdo - Foto: Stefan SchneiderMarkant an der doch spärlich besuchtenEröffnungsveranstaltung war das Referat von Frigga Hauf, die die konsequente Aufteilung der vorhandenen Arbeit forderte und eine Vision einer Gesellschaft skizierte, in der alle am gesellschaftlichen Leben partizipieren würden – durch Arbeit und durch die Teilhabe an den durch Arbeit hergestellten Produkten. Das Referat mit dem Titel "Ein gutes Leben. Teilzeitarbeit für alle – eine zeitgemäße Unterwanderung gewohnter Vorstellungen und eingerosteter Identitäten." ist im Internet dokumentiert.

Der späte Abend wurde im Gemeindehaus von der Gruppe durch zahlreiche intensive und z.T. auch sehr persönliche Gespräche zum besseren Kennen lernen genutzt.

3. Zweiter Tag

Die Ev. St. Johannes Kirchengemeinde organisierte an allen Tagen des Sozialforums ein Frühstück für TeilnehmerInnen. Damit konnte auch unsere Gruppe gut versorgt werden. Nach dem Frühstück besuchte der überwiegende Teil der Gruppe die Diskussionsveranstaltung "Wir zahlen nicht fur Eure Krise". Auch der Teilnehmerbeitrag wurde im Büro des Sozialforum entrichtet. Nach der ersten Programmeinheit teilte sich die Gruppe auf verschiedene Veranstaltungen des späten Vermittags auf. Mittagessen wurde von einer Volksküche auf dem Gelände der Freien Schule organisert.

Kunst im  Wildkräutergarten - Foto: Stefan SchneiderFür Nachmittags gab es das Angebot, das Projekt Wildkräutergarten in Lebbien bei Dannenberg zu besuchen. Wider erwarten wollte die gesamte Gruppe mit dabei sein. Christina Schuster begrüßte die Gruppe und führte durch ihren Wildrkäutergarten, erklärte dabei ausführlich die Geschichte der Kräuter und gab der Gruppe unterschiedlichste Kräuter zum Verkosten und erklärte die jeweilige Bedeutung. Anschließend gab es im Warmen bei Tee, Kaffee und Kuchen noch ein ausführliches Gespräch über ökologische Landwirtschaft sowie Milchanbau.

Auftritt Brita  Kärner & Hansi Buchenau - Foto: Stefan  SchneiderAnschließend fuhr die Gruppe zurück zu den Sozialforums – Veranstaltungen des späten Nachmittags. Ein großer Teil der Gruppe besuchte die Aufführung von Brita Kärner und Hansi Buchenau: "Hansi und die Königin der Nacht. Zwei Obdachlose machen Hausmusik." Entgegen der ersten Erwartung aufgrund der Ankündigung handelte es sich hierbei nicht um obdachlose, sondern um ein Künstlerduo aus dem Wendland, das mit einem roten Faden verbundene Lieder rund um Armut, Elend, Obdachlosigkeit und Ausbeutung vortrag. Nach dem Konzert gab es die Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch mit den Künstlern, die anboten, in Berlin gegen Erstattung der Benzinkosten kostenlos aufzutreten.

Impressionen  zur Elbe - Foto: Stefan SchneiderAbends wurde wieder gemeinsam eingekauft, im Gemeindehaus gekocht und zu abend gegessen. Die Teilnehmer waren sichtlich erschöpft von dem Programmtag. Es folgte nach dem Essen eine erste Vorbesprechung für den von uns angemeldeten Workshop. Am späten Abend um 22:00 Uhr gab es noch in der gegenüberliegenden Kirche eine Veranstaltung mit Bildimpressionen von der Elbe und Erläuterungen zum Elbausbau, der das Naturschutzgebiet Elbtal massiv und nachhaltig bedrohen würde und ohnehin nicht wirtschaftlich sei. Dem Vortrag folgte eine Diskussion. Auch diese Veranstaltung wurde von einem großen Teil der Gruppe besucht. Spät am Abend um Mitternacht werden im Gemeindehaus die intensiven Gruppengespräche fortgeführt.

4. Dritter Tag

Der Tag begann mit einem Frühstück im Gemeindehaus. Anschließend traf sich die Gruppe und diskutierte den Workshop Armut und Wohnungslosigkeit per Gesetz, den sie bestreiten wollte. Dabei war zum einen klar, dass alle Mitglieder der Gruppe an diesem Workshop teilnehmen sollten, dass es aber keine Verpflichtung geben sollte, sich zu Wort zu melden. Entsprechend den Erfahrungen aus den Diskussionsrunden vom Vortag sollten aber alle Gruppenteilnehmer die Möglichkeit haben, sich zu Wort zu melden und eigene Erfahrungen und Sichtweisen einzubringen. Ein regelrechter Streit entwickelte sich über die Frage, ob mit dem Workshop konkrete Ziele erreicht werden müssen. Während aus der Gruppe von einer Person diese Ansicht vehement vertreten wurde ("Wir müssen vorher festlegen, was das Ergebnis sein soll und darauf hinarbeiten!") vertrat die Mehrheit der Gruppe die Ansicht, dass der Workshop grundsätzlich ergebnisoffen sein soll und dass sich aus der Situation und der Diskussion heraus eine eigene Dynamik ergeben würde, die zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht vorhersehbar sei. St. Johannis  Kirche im Zentrum von Hitzacker - Foto: Stefan  Schneider

Auch war nach den Erfahrungen des Vortages nicht klar, wie viele Menschen tatsächlich zum Workshop kommen würden, da es sehr große und sehr kleine Veranstaltungen gab. Gegen eine große Beteiligung spricht, dass die St. Johannis Kirche kein sehr herausragender Veranstaltungsort des Sozialforums ist, da die meisten Veranstaltungen sich auf das Verdo bzw. auf die Freie Schule Hitzacker konzentrierten.

5. Der Workshop - Kurzprotokoll

Vom Workshop ist noch am selben Tag ein Protokoll erstellt und über den email-Verteiler des Sozialforums verbreitet worden. Es gab noch zwei Ergäzungen durch die Teilnehmer.

Hartz IV: Armut und Wohnungslosigkeit per Gesetz,
Datum: Samstag, 17.10.2009,
Zeit: 11:30 – 13:10 Uhr;
Ort; St. Johannis-Kirche, Hitzacker
Thema: Hartz IV: Armut und Wohnungslosigkeit per Gesetz. Protest und Widerstand.
Teilnehmer: etwa 30 Menschen, weitgehend Hartz IV betroffen, darunter Teilnehmer der
Plattengruppe Köpenick, Initiative gegen Zwangsumzüge
Moderation/ Protokoll: Dr. Stefan Schneider

Einstiegsfrage: Mit der Perspektive: Ein andere Welt ist möglich, ist Armut dann nur eine Frage des Geldes oder welche Dimensionen hat die Armut?

In der Diskussion wird genannt: Armut geht oft einher mit Perspektivlosigkeit, gesellschaftliche Teilhabe ist schwierig, weil Geld fehlt. Die Diskussion focussiert sich um sehr praktische Fragestellungen der DiskussionsteilnehmerInnen. Wer Hartz IV bekommt, bekommt häufig dazu ein Wohnungsproblem, da Wohngröße bzw. die maximalen Wohnkosten festgelegt ist. Mit einher geht die Residenzpflicht, d.h. die Verfügbarkeit gegenüber dem "Arbeitsmarkt". In der direkten Auseinandersetzung mit den Behörden und dem System fühlen sich die Arbeitslosengeldbezieher schnell als Menschen Dritter Klasse. Die Tatsache, dass immer weniger (beazahlte) Arbeit vorhanden ist, gehört zu den weiteren Ursachen der Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung. Bei dem Versuch, Forderungen innerhalb des Sozialforum aufzustellen, wird von den TeilnehmerInnen genannt:

  • Ein Grundeinkommen würde helfen, aus der Bevormundung durch Ämter und Gesetze herauszukommen.
  • Mindestens aber – und möglicherweise auch unanhängig davon - sollten bedarfsorientierte Leistungen für besondere Lebenssituation hinzutreten.
  • Die Forderung nach einem Recht auf Arbeit in Form eines Rechts auf einen Arbeitsplatz trifft auf erheblichen Widerstand, da dies sehr schnell in eine Arbeitspflicht umschlagen könnte. Allerdings war dieser Vorschlag – alle sollen einen Arbeitsplatz "beantragen", auch nur als symbolische Aktion gemeint.
  • Ein würdevolles Leben führen zu können, ist für die Arbeitenden nur mit einem Mindestlohn möglich, im Hartz IV Bereich ist es erforderlich, einen höheren Regelsatz einzufordern, denn der gegenwärtige reicht bei weitem nicht aus.
  • Hinzutreten kann die Idee der Selbstorganisation der Armen und Hartz IV-Beziehenden. Dafür wäre das Internet unter anderem ein geeignetes Mittel. Selbsthilfegruppen können überall gebildet werden.
  • Es gibt in einzelnen Parteien durchaus BündnispartnerInnen.
  • Auch auf die Verwaltung der JobCenter kann Einfluß genommen werden. Bislang sind beispielsweise kaum Erwerbslose in den Beiräten der JobCenter vertreten.
  • Gefordert werden keine weitere Kürzungen und keine weiteren Sanktionen nach § 31 SGB II – dazu gibt es gegenwärtig auch eine Petition (www.sanktionsmoratorium.de).
  • Die Ergebnisse dieses Workshops sollen innerhalb des Sozialforums bekannt gemacht werden.
  • Keine Kriminalisierung der Menschen,, die sich gegen Hartz IV und Ausgrenzung einsetzen
  • Arme Menschen sollten sich nicht gegenseitig – z.B. an den Tafeln – bekriegen,
  • Keine Zwangsarbeit
  • Recht auf Wohnen

Das Protokoll dieses Workshops soll Bestand der Ergebnisse des Sozialforums sein. Hingewiesen wird auf das Europäische Sozialforum ESF in Instanbul 2010 (Juni/Juli), wo diese Diskussion auf europäischer Ebene weiter geführt werden kann. (sfid.info/e_sf/2010.esf.00/index.html)

6. Dritter Tag - Fortsetzung

Demonstration  durch Hitzacker - Foto: Stefan SchneiderDer Workshop wurde sehr pünktlich beendet, um den TeilnehmerInnen die Teilnahme an der Demonstration zu geben. Die Gruppe selbst beschloß eine kurze Mittagspause einzulegen, um sich vom Streß des Workshops und seiner Vorbereitung zu erholen. Für den Mittag war eine Demonstration der Sozialforumsteilnehmer geplant, die am Verdo begann, durch die Stadt Hitzacker führen und an den Deichwiesen mit einer Abschlußkundgebung zu Ende gehen würde. Von unserem Standort konnte wir mit wenigen Schritten die Innenstadt von Hitzacker erreichen und uns noch kurz in die Demonstration einreihen.

Etwa parallel dazu waren wir mit Klaus Hoffmann, dem Leiter des Museums Hitzacker am Museum verabredet. Bereits auf der Veranstaltung am Abend zuvor hatten wir etwas über die Problematik des Elbeausbaus im Rahmen des Verkehrsprojekts 18 erfahren. Durch Buhnen soll die Elbe tiefer und reissender gemacht werden und somit günstiger befahrbar für die Berufsschifffahrt. Nur ändert auch dieses Ausbauprojekt nichts daran, dass die Elbe an vielen Tagen im Jahr Niedrigwasser hat und dann völlig oder teilweise für die Schifffahrt gesperrt ist. Auch gibt es nicht mehr den Bedarf, Güter auf der Elbe zu transportieren, da die Standorte nicht mehr exisitieren oder massiv an Bedeutung verloren haben. Damit ist die Sinnhaftigkeit des gesamten Verkehrsprojekts in Frage gestellt. Schon jetzt werden die bestehenden Buhnen repariert, und die Reparatur hat dabei eher den Charakter einer Neuanlage von Buhnen. Wie die Flußökologie sich durch derartige Einrgriffe verändert, konnten wir sehr eindrücklich an einem Flußmodell im Museumshof studieren. Die breite Flußlandschaft mit ihren Nebenarmen und wandernden Dünen geht verloren zu Gunsten einer tiefen Rinne. Durch die zunehmende Austrocknung an den Randzonen und den Nebenarmen wird der gesamte Naturraum beidseits der Elbe bedroht. Sonarbootfahrt.  Im Hintergrund die Abschlusskundgebung - Foto:   Stefan Schneider

Mit dem Sonarboot konnten wir diese Prozesse mit eigenen Augen beobachten. Nördlich von Hitzacker waren die Buhnen"reparaturen" eindrucksvoll zu sehen, während der südliche Bereich der Elbe zwischen Dömitz und Hitzacker noch deutlich ursprünglicher war. In den Seitenarmen konnten wir uns von der Mächtigkeit des Schlicks überzeugen, auf dem Sonarbildschirm die unterschiedlichen Tiefen der Elbe hinter und vor den Buhnen erkennen und selbst die Unterschiede zwischen dem tiefen Fahrwasser und den eher flacheren Bereichen der Elbe mit ihren wandernden Unterwasserdünen ausmachen. Und Hitzacker und seinen Hafen von der Wasserseite aus beobachten.

Später zurück im Museum konnten wir anhand von Karten, die zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres gefertigt worden sind, die deutliche Wanderung der Elbdünen erkennen, die bis zu 10 Metern am Tag betragen kann. Auch war anhand von historischer Karten andere Elbverläufe und die verschiedenen Etappen des Deichbaus seit dem 16. Jahrhundert gut erkennbar. Auch das nach dem Elbhochwasser im Jahr 2006 gebaute Sperrwerk wurde in seiner Funktionsweise erklärt.

Nach dieser Elbexkursion wollten viele Teilnehmer der Gruppe noch an den Spätnachmittagsworkshops teilnehmen. Der gemietete Bus der Gruppe funktionierte dabei als Shuttle zwischen den Standorten und es konnten auch andere Sozialformsteilnehmer bei freien Plätzen mitgenommen werden. Anschließend gegen 18:30 Uhr wollte die Gruppe zum Abschluß der Fahrt noch gemeinsam Essen - um Kosten zu sparen und das Budget zu schonen, einigten sich die Teilnehmer darauf, preisgünstig in der Freien Schule am Essen der Volxküche teilzunehmen. Obgleich wenige Vorbehalte äußerten, schmeckte das vegatarische Essen dann doch allen sehr gut.

Nach dem gemeinsamen Abendessen ging es zurück zum Gemeindehaus: Sachen packen, aufräumen, Bus beladen. Zwar hätte es am Sonntag noch eine Abschlussdiskussionsrunde gegeben und am frühen Nachmittag noch eine Verständigungsrunde über die Ergebnisse, aber aus unterschiedlichen Gründen - Termindruck, Heimweh, Taschengeldknappheit usw. - einigte sich Gruppe einstimmig darauf, noch am Samstag abend zurück zu fahren. Gegen 20:30 Uhr begann die Heimreise, und gegen 00:30 Uhr in der Nacht war auch der letzte der Gruppe zu Hause angelangt und alle äußerten sich zufrieden über den Verlauf der Reise und die Teilnahme am 3. Sozialforum in Deutschland.

7. Kritische Punkte

Dennoch sind - bei allen positiven Aspekten - drei Kritikpunkte zu nennen:

Die Geschlechterverteilung der Gruppe war unverhältnismäßig: 8 männliche gegenüber einer weiblichen Teilnehmerin. Das lag zum einen daran, dass die Plattengruppe Köpenick ein reines Männerprojekt ist und von dort aus nach der ersten Anfrage sehr großes Interesse signalisiert wurde. Wäre es besser gewesen, die Gruppe zu quotieren und Plätze bewußt für Frauen freizuhalten? Selbst auf die Gefahr hin, dass diese Plätze dann frei bleiben. Bei einer vergleichbaren Reise sollten von Anfang an verstärkt Frauen angesprochen werden – um wenigstens eine annähernde Geschlechterquotiertung zu erreichen.

Workshop in  der Freien Schule Hitzacker - Foto: Stefan Schneider

Nur einen Workshop durchzuführen vorletzten Tag des Sozialforums ist keine sehr effektive Arbeitsform. Zumal gegen Ende der zweistündigen Diskussion erstmal die Forderungen angesprochen worden sind. Aber es gab keine Zeit mehr, über diese Forderungen zu diskutieren. Deshalb ist es empfehlenswert, in Zukunft zwei Veranstaltungen vorzubereiten und zu planen. An einem Tag ein Forum, in dem die Erfahrungen zusammengetragen und erste Forderungen formuliert werden, und einen Tag später ein zweites Forum, an dem Forderungen diskutiert und abgestimmt werden können mit dem Ziel, anschließend konkrete Verabredungen zu treffen. Dann können auch die Ergebnisse zielführender in die Abschlußrunde eingebracht werden.

Auch waren erkennbar keine anderen Gruppen bzw. Akteure aus dem Bereich Wohnungslosigkeit / Selbsthilfe anwesend. Wie sich nachher zeigte, war eine Gruppe aus Offenburg auf einer zeitgleichen Veranstaltung zum Thema Armut bekämpfen in Kopenhagen. Mit Blick auf das nächste Sozialforum in Deutschland 2011 in Freiburg im Breisgau ergibt sich deshalb die Notwendigkeit, frühzeitiger und nachhaltiger mögliche Projekte, Organisationen bzw. Interessentengruppen aus anderen deutschen Städten und Regionen zu mobilisieren.

8. Resumé und Ausblick

Stiftung  Menschenwürde und  Arbeitswelt - Quelle: www.labournet.de/stiftungMundADieses Projekt wäre nicht möglich gewesen ohne die freundlichen Unterstützung von Christina Schuster von Wildkräutergarten Lebbien, Jürgen Putze-Denz von der Plattengruppe Köpenick, Pastor Simon Kramer von der Ev. St. Johannis Gemeinde in Hitzacker sowie der Förderung durch die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt in Berlin.

Aus der Hausbewohnerversammlung der Plattengruppe Köpenick wurde von Jürgen Putze-Denz eine durchweg positive Einschätzung gemeldet. Eine erste Diskussion der Ergebnisse fand auf der Sitzung der AG Leben mit Obdachlosen am 11.11.2009 statt. Eine ausführliche Berichterstattung mit Diskussion ist für den Januar 2010 geplant - in Verbindung mit einem Auswertungstreffen mit der Teilnehmergruppe. Dabei sollen auch weitere Perspektiven für Aktionen im Jahr 2010 besprochen werden.

Insgesamt bewerte ich das durchgeführte Projekt ausgesprochen positiv. Zum einen sehe ich mich in meiner Auffassung bestätigt, dass es lohnenswert ist, mit armen und wohnungslosen Menschen durchaus sehr anspruchsvolle inhaltliche Projekte durchzuführen. Zum zweiten zeigen die vielfältigen Aktivitäten der Gruppe – u.a. die aktive Beiteiligung bei Workshops und Diskussionen des Sozialforums, die Teilnahme an Kulturveranstaltungen sowie Exkursionen auf die Elbe (Echolotfahrt) und zum Wildkräutergarten, dass eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Themen durchaus erfolgt, wenn denn die Möglichkeit dazu angeboten wird.

Und schließlich: Die ersten Diskussionen im Zuge der Auswertung der Fahrt zeigen, dass die Notwendigkeit einer weitergehenden Vernetzung und europaweiten Artikulation durchaus gesehen wird. Nicht nur in Hinblick auf das Europäische Sozialforum 2010 in Istanbul oder das Weltsozialforum 2011 in Dakar, sondern auch in Bezug auf die Notwendigkeit, beispielsweise das Thema wohnungslose MigrantInnen auf der EU – Ebene mit Europapolitikern in Brüssel und anderen Akteuren Europas zu thematisieren.

Aber auch die Erfahrung der Teilnehmer, sich selbst artikulieren und mit anderen in einen Dialog eintreten zu können, sowie die geknüpften Kontakte zu anderen Betroffenen und KünsterInnen im Wendland sind m.E. Grund genug, diese Fahrt als Erfolg zu werten.

Berlin, 29.11.2009,

Stefan Schneider

9. Weblinks

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