Homeless Man - Quelle: Wiki-CommonsDr. Stefan Schneider

Zur Funktionalität der Klischees von Wohnungslosen im Spannungsfeld von medialer Aufmerksamkeit, Politik, Verwaltung und Sozialwirtschaft. Berlin 2011
(Abstract)

Klischee und Realität. Die öffentliche Wahrnehmung armer und insbesondere wohnungloser Menschen ist von tiefgreifenden Ambivalenzen gekennzeichnet und ihre öffentliche Repräsentation folgt mehreren Schemata, die der Wirklichkeit nicht entsprechen: Der typische Wohnungslose ist eher älter, sicher männlich, meistens mehrfach defizitär und auf jeden Fall deutscher Staatsbürger – so das stereotype Bild. Tatsächlich sind die heutigen Wohnungslosen von heute eher jung, fast zur Hälfte weiblich, vielseitig kompetent und haben immer häufiger einen Migrationshintergrund oder sind tatsächlich Migrant_innen.
Vor allem im niederschwelligen Bereich und in den sogenannten Schattenzonen beträgt der Anteil von Migrant_innen unter den Wohnungslosen 50% und mehr, und selbst in den kostenintensiven Betreuungsangeboten ist der Anteil wohnungsloser Menschen mit Migrationshintergrund und nichtdeutscher Wohnungsloser stetig am Steigen.
Bericht, Geschäft und Hilfe. Die Akteure der Sozialwirtschaft reproduzieren dazu – aus geschäftlichem Interesse - ein Bild des Opfers, immer als Einzelfall und die Medien tendieren zur unkritischen Übernahme dieser Sichtweise und verkürzen einen komplexen Hilfeprozess zur situativen Wohltat. Die Politik ist nur zu gerne bereit, dieser Muster zu folgen und finanziert scheinbar günstig eine desintegrative Verwahrung nach dem Motto: Satt und Sauber. Der deutschlandweit wahrgenommene Skandal um die Treberhilfe ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Ein spezifisches Bild von defizitären Wohnungslosen wird dabei produziert im Wechselspiel von Medien, Sozialwirtschaft, Politik und Verwaltung und Sozialwissenschaft, mit weiteren problematischen Differenzierungen in den Ausgrenzungsdiskursen, die besonders nicht angepasste oder nicht erwünschte migrantische Wohnunglose betreffen.
Ausblick: Wohnungslos und Online. Weil die konventionellen Beteiligungsformen (Betroffenenvertretung, Repräsentanz) weder die tatsächlichen Ansprüche und Wirklichkeiten abbilden noch den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechen, nutzen wohnungslose Pioniere das Internet und seine Instrumente, um sich, ihren Anliegen und Problemen gehör zu verschaffen: Twitter-Netzwerke, Facebook-Gruppen, Online-Portale und weitere Instrumente, deren Potential es abzuschätzen gilt.
Datenbasis (Auswahl)
FEANTSA
BAG-Wohnungslosenhilfe
AK Wohnungsnot
Droit Au Logement
Berber-Info
• Malyssek, Jürgen / Störch, Klaus: Wohnungslose Menschen: Ausgrenzung und Stigmatisierung. Freiburg i. Br. 2009
• Oberhuber, Florian: Die Erfindung des Obdachlosen: Eine Geschichte der Macht zwischen Fürsorge und Verführung. Wien 1999
• Schneider, Stefan: Wer Betroffenenbeteiligung will, muss Selbsthilfe fördern?! Mainz, Berlin 2010
• Schneider, Stefan: Interkulturelle Soziale Arbeit in offenen und niederschwelligen Angeboten der Wohnungslosenhilfe. Berlin, München 2010
• Schneider, Stefan: Mein Leben gehört mir! Reflexionen Wohnungsloser auf Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts in originalen Zeugnissen. Berlin 2010.

Abstract zum Dreiländerkongress NEUER STRUKTURWANDEL DER ÖFFENTLICHKEIT der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie an Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck, 29.09.-01.10.2011 zum Panel II Muster sozialer Ungleichheit, Migration und Ausgrenzung

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