Zwischen Ignoranz, Vertreibung und Integration - Wohnungslose MigrantInnen in Europa (Skizze für ein Forschungsvorhaben)
1. Abstract
Gegenstand des zweijährigen Forschungsvorhabens ist das in den letzten Jahren verstärkt auftretende Phänomen wohnungsloser MigrantInnen in Europa. Es bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Ignoranz, Vertreibung und Integration. Mit Blick auf historische Entwicklungen im Zentrum Europas ist die Situation vor allem in den Metropolen, aber auch in typischen Herkunftsländer und möglichen Zielländern zu untersuchen. Neben der Erfassung rechtlicher und sozialer / sozialpolitischer Strukturen ist der Fokus aber auch die individuelle Lebenslage, sowie typische Handlungskonzepte der Betroffenen zum Umgang mit der Situation. Neben dem Sichten und Auswerten von Material zum Gegenstand werden durch Forschungsreisen in Europäische Metropolen weitere Erkenntnisse, beispielsweise ExpertInnenwissen (wohnungslose MigrantInnen, WissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpolitikerInnen) und beispielhafte Modelle aufgegriffen, diskutiert und ausgewertet.
Ziele der Forschung bestehen darin,
- erstmalig Aussagen für eine Europäische Perspektive zu diesem Phänomen zu erarbeiten,
- sozialarbeiterische/sozialpolitische Konzepte, deren Leistungen und Effekte zu identifizieren,
- Ursachen und Überlebensstrategien wohnungsloser MigrantInnen zu ermitteln,
- Sichtweisen Wohnungsloser zu erarbeiten (Subjektperspektive),
- die Bedeutung von Empowerment und Teilhabe zu untersuchen,
- europarelevante/europäische sozialpolitische Strategien zu identifizieren und zu diskutieren.
Denn wenn das verstärkte Auftreten wohnungsloser MigrantInnen ein europaweites Problem ist, müssen auch Ursachen, Überlebensstrategien, subjektive Deutungsmuster, sozialpolitische Strategien sowie innovative und integrative Ansätze in europäischer Perspektive diskutiert werden. Dazu will dieses Forschungsprojekt einen Beitrag leisten.
Inhalt
1. Abstract
2. Problem
3. Forschungsstand (erste Skizze)
4. Zielsetzung
4.1. Europäische Perspektive
4.2. Sozialarbeiterische Konzepte
4.3. Überlebensstrategien, Empowerment & Teilhabe
4.4. Sozialpolitische Strategien
4.5. Transfer/ Relevanz für Berlin sowie Berliner Bezirke
5. Instrumente und Arbeitsplan (Skizze)
5.1. Analyse
5.2. Forschungsreisen
5.3. Aufbereitung der Daten (Entwicklung von Thesen)
5.4. Rückkoppelung
5.5. Dokumentation/ Publikation
6. Bearbeiter
7. Zeitraum
8. Finanzierung
9. Kooperationspartner und -Einrichtungen
9.1. Berliner und Deutsche Kooperationspartner
9.2. Kooperationspartner in EU – Ländern
9.3. Kooperationspartner ausserhalb der EU
10. Literatur
2. Problem
Eine der Folgen der fortschreitenden Globalisierung ist die zunehmende Mobilität weiter Teile der Bevölkerung weltweit und insbesondere auch im Europa der EU. Diese Mobilität, die sich häufig als Migration zeigt, hat nicht nur positive Seiten und Aspekte. So ist seit einigen Jahren in nahezu allen europäischen Metropolen und Großstädten ein zunehmender Anteil von Ausländern in den offenen Wohnungsloseneinrichtungen und anderen Angeboten der niederschwelligen Armenversorgung, wie Suppenküchen und Kleiderkammern und Tagestreffpunkten zu konstatieren.
Am Beispiel Berlins lässt sich zeigen, wie wenig zu diesem Problem gegenwärtig bekannt ist. So existieren nur vereinzelte Zählungen. In der ganzjährig geöffneten Notübernachtung des Vereins mob e.V./ strassenfeger wurde im Jahr 2007 ein AusländerInnenanteil von etwa 38% ermittelt, (vgl. SCHNEIDER 2007), von der zentralen niederschwelligen Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße liegen Berichte vor, nach denen der Ausländeranteil bei bis zu 50% liegt. Erst seit Neuestem sind die damit verbundenen Problemlagen der interkulturellen Sozialarbeit und sozialpolitischer Strategien Gegenstand der Diskussion. So kam es erstmalig auf der Herbsttagung 2008 der AG Leben mit Obdachlosen, einem Zusammenschluß von mehr als 50 Einrichtungen der niedrig-schwelligen Wohnungslosenhilfe zu einer Diskussion mit dem Berliner Integrationsbeauftragten (vgl. AG LEBEN 2008) über die Dimensionen eines drängenden Problems, zu dem so gut wie keine Zahlen, Unter-suchungen oder Konzepte vorliegen.
Dazu eine exemplarische Situations- und Problembeschreibung aus einer Berliner Notübernachtung, die idealtypisch wider gibt, was gegenwärtig in der Praxis diskutiert wird (vgl. SCHNEIDER 2008):
"Die zu einem großen Teil ehrenamtlichen MitarbeiterInnen sind mit einem zunehmenden Anteil von ausländischen NotübernachterInnen, darunter viele aus Ost- und Südosteuropa, konfrontiert. Die Stimmung insgesamt wird schlechter, es gibt unter den NotübernachterInnen insgesamt zunehmende Aggressionen und Rangeleien. Wegen des Andrangs müssen auch Wohnungslose weggeschickt werden.
Die MitarbeiterInnen fühlen sich überfordert und allein gelassen, die äusländischen NotübernachterInnen fühlen sich schlecht behandelt und diskriminiert, die deutschsprachigen NotübernachterInnen fühlen sich an den Rand gedrängt und kritisieren teilweise die bloße Anwesenheit der ausländischen NotübernachterInnen, die ihrer Meinung nichts in einer deutschen Notübernachtung verloren hätten.
Alkohol- und Drogenprobleme treten verstärkt auf, zudem ist unklar, wie gut die ausländischen Gäste überhaupt die deutsche Sprache verstehen und welches ihr Status ist. Eine Reihe von Gerüchten macht die Runde: Drückerkolonnen seien im Spiel, die Äusländer hätten illegale Jobs und suchten nur eine billige Unterkunft, sie seien gar nicht bedürftig, für Ausländer gäbe es keine Hilfeansprüche usw.
Auf der anderen Seite wird sowohl von einigen MitarbeiterInnen als auch von einigen ÜbernachterInnen wiederholt betont , die Notübernachtung sei für alle da." (Schneider, 2008)
Auch in anderen Europäischen Ländern werden ähnliche Probleme berichtet, die sich insbesondere auf die Metropolen konzentrieren (London, England; Kopenhagen, Dänemark; Prag, Tschechien; Rom, Palermo, Italien; Paris, Lyon, Frankreich usw., vgl. FEANTSA Newsletter 2008) Die dabei verfolgten Stategien sind durchaus widersprüchlich: Von der Leugnung des Problems über repressive Ausgrenzungsstrategien und hin zu vorsichtigen Annäherungen bis zum Aufbau von Strukturen, die der Lebenslage und den Bedürfnissen ausländischer Wohnungsloser entsprechen.
Diese Strategien anderer Städte und Länder innerhalb der EU gilt es zu untersuchen mit Blick auf eine Europäische Perspektive. Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen:
- welches waren und sind objektiven und biografischen Ursachen der Migration in Europa?
- was waren und sind die geografischen und biografischen Ziele der Migration in Europa?
- welches sind die Ursachen für Auftreten der existienziellen Notlage(n)?
- ist ein europäischer Blick auf Ursachenzusammenhänge möglich?
- ist die gegenwärtigen Situation wohnungsloser Migrantinnen eine Transit -oder Zielsituation?
- wie stellen sich die objektiven und die subjektiv wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten und -spielräume der gegenwärtigen Lebenslage dar?
- Welches sind die anzutreffenden regionalen und lokalen Handlungsstrategien im Umgang mit dem Phänomen?
- Welche Effekte resultieren aus den sozialarbeiterischen und sozialpolitischen Strategien der einzelnen Städte und Länder der EU?
- Welche Strategien sind erfolgreich? Sind interkulturelle Konzepte in der Wohnungslosenhilfe integrierbar? Welche Bedeutung haben in diesem Zusammenhang Beteilungs-, Empowerment- und Selbsthilfeansätze?
- Ist eine gesamteuropäische Strategie im Umgang mit existienzieller Armut erkennbar? Oder sind widersprüchliche oder gar gegensätzliche Muster erkennbar?
- Was wären Grundmuster und Grundstandards einer europäischen Wohnungslosenstrategie/ Wohnunglosenpolitik?
3. Forschungsstand (erste Skizze)
Insgesamt muss der gegenwärtige Stand der Forschung als absolut defizitär eingeschätzt werden. Das hat sehr vielfältige Ursachen. Die seit 1989 in Brüssel bestehende European Federation of National Organisations working with the Homeless (FEANTSA) leistet hier Pionierarbeit. In zahlreichen Konferenzen und Publikationen werden die jeweils nationalen Erfahrungen mit Wohnungslosigkeit zu einer europäischen Gesamtsicht vereinigt, aber zu dem Kernproblem der Migration und dem MigrantInnenanteil liegt bislang nur eine Publikation aus dem Jahr 2004, also noch vor der großen EU-Osterweiterung vor (ELGAR/ DOHERTY; MEERT 2004). Seit diesem Zeitpunkt hat das Problem signifikant zugenommen, und auch wenn in den einzelnen Ländern der EU wiederholt Meldungen, Problemberichte und vereinzelte sozialwissenschaftliche Beiträge dieses Problem aufgreifen, ist die Perspektive doch in der Regel auf die regionale Erscheinungsform und den regionalen Umgang damit beschränkt.
Das wiederum hat Gründe in der Problemstruktur. Seit der Industrialisierung hat der Anteil der auf dem Land lebenden und arbeitenden Menschen extrem abgenommen, damit auch das Phänomen der landwirtschaftlich bedingten Wanderarbeit und Wanderarmut. Die mit der Industrialisierung einhergehende Verstädterung, die als globaler Prozeß trotz einiger "shrinking cities" in den westlichen Industrienationen bis heute anhält, führt auch zu einer Verstädterung des Problems der Wohnungslosigkeit und Wanderbewegungen wurden noch bis weit in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts für ein "Restphänomen" gehalten (vgl. JOHN 1988). Das Konzept nationalstaatlicher Grenzziehungen wirkte ebenfalls bremsend auf historische Wanderbewegungen armer Menschen (vgl. JÜTTE 2001).
Gleichzeitig wurden in den Neuzeit sozialpolitische Konzepte entwickelt, die die Mobilität förderten. Während noch im Mittelalter die sog. Bettlerfuhren, also die Verbringung armer Menschen an ihren Geburtsort die gängige Praxis war und durchaus vertreibend und abschreckend wirken sollten (vgl. GEREMEK 1988), setzte sich spätestens mit der Bismarkschen Sozialgesetzgebung 1871 in Deutsch-land das Unterstützungswohnprinzip durch – also soziale Leistungen dort zu erbringen, wo die Not auftrat, unabhängig von der Herkunft, jedoch nur und ausschließlich innerhalb der nationalstaat-lichen Zugehörigkeit. Der etwa parallel sich vollziehende Aufbau der sog. "Nichtseßhaftenhilfe" durch BODELSCHWINGH und andere griff dieses Prinzip durch ein differenziertes, dreigliedriges System der Hilfe zwischen Naturalverpflegungsstationen und Arbeiterkolonien auf, führte aber wegen seiner zeitlichen Befristung zu einem sog. "Drehtüreffekt". Diese Angebote stellten erst her, was sie zu beheben beanspruchten: Das Prinzip der vertreibenden Hilfe (HOLTMANNSPÖTTER 1984) entstand – eine Zwangsmobilität wohnungsloser Menschen.
Mit Blick auf diese – deutsche – Geschichte ist zum einen nach anderen Tradierungen der Wohnungslosenhilfe im europäischen Raum zu suchen, und gleichzeitig ist zu fragen, ob mit dem Europäisierungsprozeß nicht eine historische Analogie zu der Geschichte der Wohnungslosenhilfe im Zentrum Europas gegeben ist. Denn mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Zusammenbruch des Ostblocks wurde nicht nur der Europäische Raum erweitert und zu einem offenen Wirtschaftsraum, sondern soziale Disparitäten entstanden und wurden gleichzeitig integriert in das Projekt der massiven EU-Erweiterungen 2004 und 2007. Mit der Durchsetzung des Computers als globales, vernetztes Kommuni-kations- und Produktionsmittel entstand ein neues Regime eines digitalen Kapitalsmus (GLOTZ 1999), der auch die ökonomischen und sozialen Strukturen der neuen Mitgliedsländer und damit der EU insgesamt, massiv veränderte.
Dieses neue Europa in einer veränderten ökonomischen Konstellation ist per se nicht sozialpolitischen ausgerichtet, sondern versteht sich nominell als Wirtschaftsunion, de facto aber existieren innerhalb der EU eine ganze Reihe von Instrumenten (ESF; EFRE), die viele, auf Ausgleich zielende sozialpolitische Strategien verfolgen (LEISERING 2008), ohne jedoch in der konkreten Armutsbekämpfung und damit in der Wohnungslosenhilfe Effekte zu zeigen, obwohl hier sehr wohl europäisische Standardisierungsprozesse nachweisbar sind (z.B. Projekt ETHOS).
Die Europäische Freizügigkeit, die digitale Vernetzung und weitere Prozesse der Globalisierung wie das Phänomen der Billigflieger schaffen den Rahmen für eine neue Mobilität innerhalb Europas, die auch eine prekäre Seite hat. Viele MigrantInnen in unaktraktiven, schlecht entlohnten und häufig wenig angesehen Berufen und Tätigkeiten empfinden ihre Position als attraktiver im Vergleich zur Situation im Herkunftsland, und ein weiteres Phänomen ist die Pendelsituation, wo im Zielland das Geld verdient werden soll, welches im Herkunftsland zum Überleben eingesetzt wird. Gibt es eine neue, durch globale und auch in der EU manifeste ökonomische Strukturen eine neue erzwungenen Mobiltät, etwa, dass BürgerInnen aus Ost- und Südosteuropa nach Südspanien und anderen Ländern in Erntegebieten arbeiten, weil die landwirtsschaftlichen Strukturen des Heimatlandes sich als nicht mehr tragfähig erweisen? Wäre demnach der zunehmende Anteil von MigrantInnen ein Hinweis auf Disfunktionalitäten im zusammenwachsenden Europa? Welche Konsequenzen hat dies für die Bereitsstellung von Überlebenshilfen und sozialhilferechtliche Verpflichtungen in der EU selbst?
4. Zielsetzung
Ziel des Forschungsvorhabens liegt auf fünf Ebenen:
4.1. Europäische Perspektive
Die Situation wohnungsloser MigrantInnen und deren Integration ist kein typisch deutsches, sondern ein Europäisches Problem und sollte deshalb auch auf dieser Ebene untersucht, verglichen und diskutiert werden. Auch sind viele Analysen und Perspektiven zur Lösung des Problems nur auf transnationaler, internationaler und europäischer Ebene vorstellbar und diskutierbar. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass eine Reihe sozialpolitischer Schlussfolgerungen, Konzepte und Forderungen nur auf europäischer Ebene sinnvoll vorgetragen, diskutierbar gemacht und umgesetzt werden können.
4.2.Sozialarbeiterische Konzepte
Die Soziale Arbeit im Allgemeinen und die Wohnungslosenhilfe insbesondere ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der aktuellen Situation überfordert und nicht angemessen darauf vorbereitet. Es fehlt nicht nur an Analysen, sondern auch an Theorien, Konzepten und Methoden zum angemessenen Umgang und zur Integration ausländischer Wohnungsloser. Hier sollten konkrete, handhabbare und detaillierte Vorschläge erarbeitet und Modellprojekte vorgestellt werden. Auch sollen konkrete Vorschläge und Anregungen zu einer europäischen Zusammenarbeit erarbeitet werden.
Interkulturelle Konzepte. Zur Implementierung interkultureller Konzepte gibt es in Deutschland gegenwärtig kein Material, weil bislang noch niemand dieses Thema in der Wohnungslosenhilfe aufgegriffen hat. Teilziel des Forschungsprojekts soll es sein, im Europäischen Raum und auch darüber hinaus, Beispiele zu suchen und zu identifizieren, in denen Interkulturelle Soziale Arbeit mit Wohnungslosen bereits praktiziert oder in Kürze implementiert werden wird.
4.3.Überlebensstrategien, Empowerment & Teilhabe
Überlebensstrategien. In der Regel werden wohnungslose Menschen als defizitäre Persönlichkeiten wahrgenommen. In diesem Forschungsprojekt wird soll diese stigmatisierenden Vorgehensweise nicht wiederholt werden, sondern wohnungslose MigrantInnen sollen weitgehend als gleichberechtigte ExpertInnen in die Studie mit einbezogen werden, gleichberechtigt zu den WissenschaftlerInnen, SozialarbeiterInnen und SozialpolitikerInnen. Das bedeutet, wohnungslosen MigrantInnen werden nicht nur zu den Gründen und Ursachen sowie zu den den Umständen und Rahmenbedingungen ihrer Lebenslage, sondern auch zu ihrer Einschätzung der sozialpolitischen Situation befragt.
Empowerment und Teilhabe. In kaum einem anderen sozialpolitischen Handlungsfeld ist die Teilhabe der NutzerInnen so wenig entwickelt wie in der Wohnungslosenhilfe. Formen von Betroffenenbeteiligung, Mitwirkung und Mitbestimmung in den Einrichtungen, sowie eine eigene sozialpolitische Artikulation Wohnungsloser ist insbesondere im deutschsprachigem Raum so gut wie nicht vorhanden, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, etwa die Bundesbetroffeneninitiative Wohnungsloser Menschen mit Sitz in Köln und Offenbach und einiger weniger, sozialpolitisch an der Teilhabe wohnungsloser Menschen interessierten Strassenzeitung wie dem BankExtra in Köln oder der Selbsthilfemitmachzeitung Querkopf in Berlin und Köln. Es gibt in anderen europäischen Ländern vergleichbare, aber auch sehr andere Erfahrungen. So arbeitet BARKA in Polen sehr teilhabeorientiert mit Wohnungslosen zusammen, und mit dem Ministerie van de Wooncrisis in Belgien und der Initiative Droit Au Logement (DAL) Frankreich existieren beispielsweise sehr starke sozialpolitische Initiativen. Deswegen isst zu untersuchen, welche Auswirkungen Selbsthilfe- und Empowermentstrukturen auf die Konzeptualisierung, Praxis und die Sozialpolitiken der Integration wohnungsloser MigrantInnen haben.
4.4.Sozialpolitische Strategien
Auf sozialpolitischer Ebene ist zu konstatieren, dass gegenwärtig die Existenz einer signifikanten Gruppe ausländischer Wohnungsloser in Berlin und Deutschland wahrgenommen wird, deren Problemlagen nicht mehr wegzudiskutieren sind. Zwar zeigen erste, vorliegende Gutachten (BAGW 2008) bereits, dass auch bei ausländischen Wohnungslosen ein Leistungsbezug nach SGB dem Grundsatz nach und im Einzelfall durchaus zu bejahen ist, dass aber überhaupt eine Zuständigkeit von Einrichtungen und Angeboten vorliegt, wird noch weitenteils bestritten. Hier gibt es, sozialpolitische Sichtweisen argumentativ zu entwickeln, die die Bedürfnisse ausländischer Menschen in existenziellen Notlagen berücksichtigen und die bereit sind,, anzuerkennen, dass die Bearbeitung des Problems eine unabweisbare Aufgabe ist, für die Mittel und (rechtliche) Instrumente zur Verfügung zu stellen ist.
4.5.Transfer/ Relevanz für Berlin sowie Berliner Bezirke
Dieses Projekt wird durchgeführt innerhalb des Berliner ÖBS Programms der öffentlich geförderten Beschäftigung im Programmschwerpunkt "Unterstützung der Integration von Migrantinnen und Migranten". Berlin ist mit 8.000 – 12.000 wohnungslosen Menschen und einem offenbar hohen Anteil an MigrantInnen (vgl. AG LEBEN 2008) ein Brennpunkt des Problems wohnungslose MigrantInnen. Deshalb ist ein zentrales Ziel dieses Forschungsprojekts, übertragbare Erkenntnisse für die Berliner Situation und einzelne konkrete Projekte und Angebote zu generieren – anfangend von Bausteinen für interkulturelle sozialarbeiterische Konzepte in der Wohnungslosenhilfe über konkrete konzeptionelle Überlegungen bis hin zu sozialpolitischen Empfehlungen für die Berliner Wohnungslosenhilfe und Wohnungslosenpolitik.
5. Instrumente und Arbeitsplan (Skizze)
Im Einzelnen soll wie folgt vorgegangen werden:
5.1. Analyse
von Texten und Materialien zur Situation ausländischer Wohnungsloser in der EU
zum Umfang
zu den Ursachen
zu den zentralen Kennzeichen der Lebenslage
zur rechtlichen Situation
5.2. Forschungsreisen
in ausgewählte europäische Metropolen und Regionen
- Besuch von good- und bad practice Projekten, Sichtung von Konzepten
- Ermittlung von Zahlen
- ExpertInnengespräche zur sozialpolitischen Situation des Landes
- ExpertInnengespräche zu Integrationspolitischen Konzepten
- ExpertInnengespräche mit wohnungslosen MitgrantInnen
5.3. Aufbereitung der Daten (Entwicklung von Thesen)
- Zahlen, Ursachen, Lebenslagen ausländischer Wohnungsloser
- Rechtliche Situation und Handlungsräume
- good practice – Sozialarbeiterische Konzepte auf der Handlungsebene
- Rechtliche Situation und sozialpolische Perspektiven auf Europäischer Ebene
5.4. Rückkoppelung
der Daten und Debatte der Thesen
- mit den bisherigen Kooperationspartnern
- auf europäsicher Ebene
- mit sozialarbeiterischen und sozialpoitischen Perspektiven
- ggf. in Form eines Internationalen Symposiums
5.5. Dokumentation/ Publikation
Die einzelnen Schritte (Analysen, Forschungsreisen, ExpertInnengespräche, Thesen, Tagungsdokumentationen usw.) werden zeitnah in kleineren Publikation und Online-Veröffentlichungen publiziert, so dass aus der Zusammenstellung aller Materialien eine Dokumentation zusammengestellt werden kann
Am Ende des zweijährigen Forschungsprojekts soll eine Publikation stehen. Ziel dieser Publikation ist der Versuch, aus den unterschiedlichen Erfahrungen, Strategien und Konzepten erste Thesen für eine Europäische Gesamtperspektive zum Problem wohnungsloser Migrantinnen in Europa zu versuchen. Dazu gehören die Motive individuelle Wanderungsbewegungen ebenso wie Thesen zu den Ursachen existenzieller Armut in Verbindung mit Überlebensstrategien auf der einen Seite, und auf der anderen Seite ein Blick auf die unterschiedlichen sozialen und sozialpolitischen Strategien zwischen Ignoranz, Vertreibung und Integration. Existieren hier Muster, zentrale Gegensätze und Widerspruchseinheiten und wie verorten sich diese Formen metropolitaner Armutspolitiken im europäischen Integrationsprozeß?
6. Bearbeiter
Der Bearbeiter Dr. Stefan Schneider ist ausgebildeter Erziehungswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik und seit dem Studium mit der Arbeitsfeld Wohnungslosigkeit vertraut. In den Jahren 1990 bis 1993 arbeitete er an einem Forschungsprojekt Lebenslage und Biographie Wohnungsloser in Berlin und schrieb 1998 seine Dissertation zum Thema Wohnungslosigkeit und Subjektentwicklung. In den Jahren 1994 bis 2007 war er zudem geschäftsführender Vorsitzender der Selbsthilfeorganisation wohnungsloser und armer Menschen mob – obdachlose machen mobil e.V./ strassenfeger.
Sozial- und Methodenkompetenz. Zu den Kompetenzen des Bearbeiters gehört, daß er von der Idee bis zur Dokumentation zahlreiche und unterschiedlichste soziale Projekte geplant, entwickelt, finanziert, bekannt gemacht, geleitet, vertreten, betreut und dokumentiert hat. Dazu gehören im Bereich der Hilfe und Selbsthilfe mit wohnungslosen und armen Menschen konkrete Angebote der Einzelfallhilfe (soziale und rechtliche Beratung) ebenso wie sozialpädagogische Gruppenarbeit in unterschiedlichen Angebotsformen (Notübernachtung, Treffpunkt) und in das Gemeinwesen (Netzwerke, Lobbyarbeit) zielende Projekte. Später kamen Aufgaben der Organisations- und Qualitätsentwicklung sowie der (Selbst-)Evaluation hinzu.
Forschungskompetenz. Bei der qualitativen Forschungsarbeit weltweit in Bezug auf Soziale Ungleichheit sind dem Bearbeiter die sozialwissenschaftlichen Methoden der lebenslagebezogenen Feldstudien, der teilnehmende Beobachtung, offene rund teilstandardisierter Interviews, ExpertInnengespräche und Fotodokumentationen, aber auch Handlungsforschung sowie Empowerment-Aktionen mit Betroffenen und Selbstversuche bestens vertraut.
Internationale Vernetzung. Darüber hinaus verfügt der Bearbeiter über zahlreiche Kontakt zu Einrichtungen und Trägern der Wohnungslosenhilfe in Europa, so nach Polen, Ungarn, Irland, Belgien, Frankreich, Schweiz, Russland, Spanien. Weitere Kontakte können aufgebaut werden.
(Siehe auch Kurzportrait sowie www.drstefanschneider.de)
7. Zeitraum
Das Projekt ist auf eine Laufzeit von 24 Monaten ausgelegt. Der Schwerpunkt des ersten Jahres ist die Analyse des Materials und Forschungsreisen zur Gewinnung weiterer Materialien, Erkenntnisse.
Die Schwerpunkt des zweiten Jahres besteht in der Verarbeitung des Materials, in der Entwicklung und Rückkopplung der Thesen sowie der Erstellung der Dokumentation und der abschließenden Publikation.
Beginn: 01.04.2009
Ende: 31.03.2011
8. Finanzierung
(...)
9. Kooperationspartner und -Einrichtungen
9.1. Berliner und Deutsche Kooperationspartner
Hierbei handelt es sich um eine vorläufige Auflistung möglicher Kooperationspartner ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Zum Teil liegen schon Anfragen/ Zusagen zu einer Kooperation vor.
- Integrationsbeauftragter von Berlin
- AG Leben mit Obdachlosen, Berlin
- Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Bielefeld
- Bundesbetroffeneninitiative wohnungsloser Menschen, Köln und Offenburg
- Diakonisches Werk Berlin Brandenburg (Monika Wagner, Referentin für Interkulturelle Öffnung)
- Institut für Globales Lernen und Internationale Studien (IGLIS) an der FU Berlin , Prof. Dr. Manfred Liebel
- Wissenschaftszentrum Berlin, Forschungsbereich Zivilgesellschaft, Konflikte und Demokratie, Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung
- Habitat International Coalition (Deutschland: Witten-Herdecke)
9.2. Kooperationspartner in EU – Ländern
(Ohne Ansprch auf Vollständigkeit)
- EU, FEANTSA European Federation of National Organisations Working with the Homeless, Brüssel
- Polen, MAZOWIA, Warszawa, BARKA, Posnan
- Slowakien, HABITAT FOR HUMANITY SLOVACIA, Bratislava
- Ungarn, MENHELY, Budapest
- Rumänien, CASA IOANA, Bukarest
- Dänemark, SAND, København
- Niedelande, POORTGEBOUW, Rotterdam
- Großbritannien, CYMORTH CYMRU , Cardiff
- Irland, HOMELESS AGENCY, Dublin
- Belgien, Ministerie van de Wooncrisis, Brüssel
- Frankreich, DAL, Paris
- Italien, CNCA, Rom
- Spanien, FUNDACIÓN RAIS, Valencia
9.3. Kooperationspartner ausserhalb der EU
(Ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
- Türkei, Prof. Dr. Bediz Yilmaz, Mersin
- Ukraine, NARODNA DOPOMOHA, Lviv
- Russland, Dr. cand. Vesna Tomse, St. Petersburg
- Israel, MEIR PANIM, Tel Aviv
- USA
Prof. Dr. Jürgen von Mahs, New York City
Prof. Dr. Hillary Silver, Brown University
Prof. Dr. David Novak,
10. Literatur
Die Literatur zu diesem Forschungsverhaben muß erst noch umfassend gesichtet werden. Schon jetzt können zentrale Quellen identifiziert werden
a) Fachzeitschrift wohnungslos, Bielefeld
b) Publikationen, Newsflash sowie Bibliothek der FEANTSA, Brüssel
c) weitere Publikationen und Materialien, auch im Internet
- AG LEBEN mit Obdachlosen: Protokoll der Herbsttagung der AG Leben mit Obdachlosen. Berlin 2008
- AVRAMOV, Dragana: Homelessness in the European Union. Social and Legal Context of Housing Exclusion in the 1990s. Bruxelles 1995.
- BERLIN Institute for Comarative Social Research: The Situation of Third Country National Street Childen in Four European Cities – A Comparative Overview. Berlin 2007
- BAGW Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.: Merkblatt zu den rechtlichen Anspruchsgrundlagen nach den §§ 67 ff. SGB XII bei nichtdeutschen Personen. Bielefeld 2008
- BRUNKHORST, Hauke: Demokratische Solidarität in der Weltgesellschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ 21/2008)
- BUSCH-GEERTSEMA, Volker/ RUHSTRAT, Ekke-Ulf/ Thobaben, Petra (Hg.): Armut und Wohnungslosigkeit in den Ostsee-Anrainerstaaten. Bielefeld 2003
- BUSCH-GEERTSEMA, Volker: Wohnungslosenpolitik in anderen EU-Ländern. Übertragbarkeit von Konzepten und Maßnahmen auf Deutschland. Bielefeld 2001
- EDGAR, Bill/ DHERTY, Joe, MEERT, Henk: Immigration and Homelessness in Europe. Bristol 2004
- GLOTZ, Peter: Die beschleunigte Gesellschaft. Kulturkämpfe im digitalen Kapitalismus. München 1999
- GEREMEK, Borislaw: Geschichte der Armut: Elend und Barmherzigkeit in Europa. München 1988
- GOERRIG/PAUL: 1001 Zuwanderungsgeschichte, 1001 Wohnbiografie – Einführung in die Thematik des Wohnens von Menschen mit Migrationshintergrund, wohnungslos 4/07, S. 97 ff.
- HOLTMANNSPÖTTER, Heinrich: Entstehung und Entwicklung der organisierten Nichtseßhaftenhilfe. In: Gefährdetenhilfe 3/84. Bielefeld 1984, S. 52 - 58.
- IFHP (Ed.): Homelessness in Industrialised Countries. The Hague 1992.
- JOHN, Wolfgang: Ohne festen Wohnsitz. Ursache und Geschichte der Nichtseßhaftigkeit und die Möglichkeiten der Hilfe. Bielefeld 1988
- JÜTTE, Robert: Arme, Bettler, Beutelschneider. Eine Sozialgeschichte der Armut in der Frühen Neuzeit. Weimar 2000
- HAMMEL, Manfred: Zur Stellung der allein stehenden Wohnungslosen ausländischer Nationalität im Hilfesystem des BSHG, Bielefeld 2000 (Heft 42 – Reihe Materialien der Woh-nungslosenhilfe)
- KARAKALI, Serhat: Gespenster der Migration. Zur Genealogie illegaler Einwanderung in der Bundesrepublik Deuschland. Bielefeld 2008
- KUNZ, Stefan: Arbeit der Einrichtungen nach § 72 BSHG mit wohnungslosen Migranten und Migrantinnen – Eine Umfrage im Auftrag der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAG-W) unter den Mitgliedseinrichtungen, wohnungslos 3/01, S. 100 ff.
- LEISERING, Lutz: Die Entstehung globaler Sozialpolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ 21/2008)
- MAU, Steffen: Europäische Solidaritäten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ 21/2008)
- RADTKE, Karin: Die Entgrenzung der Solidarität. Hilfe in einer globalisierten Welt. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ 21/2008)
- RODRIGUEZ-LORES, Juan: Sozialer Wohnungsbau in Europa. Die Ursprünge bis 1918: Ideen, Programme, Gesetze. Basel, Boston, Berlin 1994
- ROSENKE, Werena: Migration und Wohnungslosigkeit – Ein Bericht zur Situation in Deutschland, wohnungslos 2/03, S. 53 ff.
- SCHNEIDER, Stefan: Notübernachtung. Statistische Auswertung. Berlin 2007
- SCHNEIDER, Stefan: Interkulturelle Soziale Arbeit in existenziellen Notlagen. Anfragen aus der Praxis. Nürnberg 2008
- STEINERT, Erika: Sozialarbeit an der Grenze und über die Grenze hinaus. Frankfurt am Main 1999
- THIELE, Monika/MALEK: MigrantInnen und EU-BürgerInnen in der Wohnungslosenhilfe – ein Er-fahrungsbericht, wohnungslos 4/07, S. 106 ff.
Berlin, 02.03.2009
Dr. Stefan Schneider