BERLINER TAGE DES INTERKULTURELLEN DIALOGS 2009

Dialogveranstaltung am: 10. November 2009
Zeit: 17.00 – 19.00 Uhr
Ort: SeelingTreff, Tagesstätte für Wohnungslose und mittellose Menschen, Seelingstr. 09, 14059 Berlin
Titel des Dialogtisches: Migrant/innen auf der Straße – Probleme und Herausforderungen (nicht nur) für die Wohnungslosenhilfe!?
Veranstalter: Europa-Institut für Sozialwissenschaften & Partizipation (eisop)
Moderator/in: Dr. Stefan Schneider
Berichterstatter/in: Sonja Kemnitz
Anzahl der Teilnehmer: 9

Bericht:

Der SeelingTreff empfing seine Gäste mit frischem Obst und heißen Getränken. Stefan Schneider begrüßte die TeilnehmerInnen, die sich anschließend ausführlich vorstellten. Einige Teilnehmer wünschten nicht fotografiert und nicht namentlich im Bericht erwähnt zu werden.

Bereits in der Vorstellungsrunde legten alle TeilnehmerInnen Beobachtungen und Erfahrungen in der Arbeit mit MigrantInnen dar. Begrüßt wurde dieses Treffen schon deshalb, weil Austausch und Vernetzung unter den jeweiligen Mitarbeitern und Aktivisten noch zu schwach entwickelt ist. Zumal sich der Anteil von MigrantInnen auf der Straße weiter erhöht und sich einige Probleme verschärfen.

„Früher nannte man sie Illegale“ meinte eine hauptamtliche Sozialarbeiterin. Zwar sei die Wahrnehmung dieser Menschen gewachsen, Verständnis und konkrete Hilfsangebote auf staatlicher Ebene für sie jedoch nicht. Viele kommen mit Illusionen nach Deutschland, der Anteil osteuropäischer Jugendlicher sowie spanischer Migrant/innen als Folge der Wirtschaftskrise nimmt zu. Aus Lateinamerika reisen ganze Familien ein.

Es wird deutlich, dass die verschiedenen MigrantInnengruppen, welche die Beratungsstellen, Tagesstätten der Wohnungslosenhilfe bzw. die Kontaktläden für junge Erwachsene anlaufen, sehr heterogen sind. Weiterhin wird festgestellt, dass aufgrund von ungleichen Problemlagen die Ansprüche auf Sozialleistungen und damit auch die Perspektiven für die einzelnen MigrantInnen sehr unterschiedlich sein können. Auf jeden Fall wird im Rahmen der sozialarbeiterischen Angebote der Wohnungslosenhilfe in der Regel versucht, die vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen und gegebenenfalls MigrantInnen den Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen.

Oft bestanden schon Sucht- oder andere psychische Probleme in den Heimatländern, die Aggressivität ist hoch. Die Zahl der Grupen, die gar nicht ansprechbar oder gesprächsbereit sind, wächst. Mitarbeiter in Treffs mit niedrigschwelligen Tagesangeboten stoßen verstärkt an Grenzen: schon wegen bestehender Sprachprobleme und fehlenden bedürfnisspezifischen Hilfsstrukturen kann immer weniger beraten werden.

Der Dialogtisch versuchte zunächst, Bedürfnisse und Erwartungen aus der Sicht der MigrantInnen zu benennen. Baltische, russische, polnische, rumänische MigrantInnen sehen sich als EU-Bürger und erwarten, hier die gleichen Möglichkeiten zu finden, wie deutsche Mitbürger/innen. Punks, oft aus Osteuropa, erhoffen sich in Deutschland mehr Möglichkeiten und mehr Toleranz, um ihre Kultur zu leben. Oft kommen sie in Tagesstätten der Wohnungslosenhilfe mit der Vorstellung an, dort direkt staatliche Leistungen beziehen zu können. Die Enttäuschung darüber, dass die deutsche Gesetzeslage dem nicht entspricht, ist groß. Ohne Arbeit finden sie keine Wohnung, Ämterbegleitung wird gewünscht, ist von den Mitarbeitern der Tagesstätten aber kaum zu leisten. Gute Erfahrungen gibt es mit fremdsprachigen Sprechstunden und Infozetteln. Oft fehlen gültige Papiere. Je länger keine amtliche Hilfe erfolgt, umso gravierender werden Alltagsprobleme. Die Gesundheits-versorgung reicht nicht, die selbständige Orientierung in der Stadt ist durch Sprachprobleme erschwert.

Gemälde im  Seeling-Treff, Berlin - Foto: Stefan SchneiderDer Dialogtisch diskutierte anschließend Ideen, um diese Situation zu verändern. Die Tagesstätten der Wohnungslosenhilfe wollen sich stärker vernetzen. Es geht nicht um eine gesonderte Anlaufstelle für Migrant/innen, sondern um voraussetzungslose Erstangebote in allen Einrichtungen. Mitarbeiter mit konkreten Erfahrungen brauchen mehr Einflussmöglichkeiten auf Stellenbesetzungen. Hilfreich wären entsprechend ausgebildete Mitarbeiter aus den Herkunftsländern nicht nur als Dolmetscher, sondern weil sie auch die kulturellen und sozialen Hintergründe kennen.

Eigenständige „Fachhelferdialoge“ wurden vorgeschlagen, auch weil die Diskussion unter dem Dach von Trägern der Wohnungslosenhilfe allein nicht problemgerecht geführt werden kann. Einstellungsprofile müssen unter migrantenspezifischen Blickwinkeln präzisiert werden. Öffentliche Vertretungen der jeweiligen Heimatländer, wie der polnische Sozialrat, Botschafter oder Kultureinrichtungen sollten gewonnen werden. Medizinstudenten und Sprachwissenschaftlern könnten Praktika in Tagesstätten absolvieren. Der lange angekündigte „anonyme Krankenschein“ muß dringend nutzbar werden.

Mehr Öffentlichkeit tut not. Als erste Idee wurde ein „Europäischer Wegweiser“ vorgeschlagen. Ein Bericht in der Arbeitsgemeinschaft Obdachlose und ein weiteres Treffen im Januar oder Februar 2010 wurden verabredet.

Botschaften:

  • Es gibt keine EU-Bürger zweiter Klasse
  • Berührung braucht öffentlichen Raum
  • SozialarbeiterInnen wollen nachhaltig und nicht nur niedrigschwellig helfen

Koordination:

Antirassistisch-Interkulturelles Informationszentrum ARiC Berlin e.V., Chausseestrasse 29, 10115 Berlin

Tel. (030) 30 87 99-0; Fax (030) 30 87 99 12; E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

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